Rollen in der Gruppe
Am leichtesten ist der Begriff der Rolle zu verstehen, wenn er im Alltagsgebrauch betrachtet wird: - Der spielt eine wichtige Rolle in der Gruppe - Was für eine komische Rolle der spielt! - Ich wollte so gerne eine andere Rolle spielen
Rolle ist ein Verhalten eines Menschen in einer bestimmten Situation und Umgebung, sie ist aber nicht sein ganzes Verhalten. Rolle ist ein Verhaltensausschnitt und steht im Zusammenhang mit der Situation, in der sie gespielt wird und hat eine Bedeutung/Funktion für das Gesamte: Einer ist wichtig für andere, komisch, unbedeutend usw. Um den Begriff der Rolle zu verdeutlichen, werden zunächst in einem Überblick viele Verhaltensweisen/Rollen aufgezählt und nach ihrer Bedeutung/Funktion für die Gruppe gegliedert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Rollen, die mehr auf die Aufgabenbewältigung einer Gruppe gerichtet sind
- 2 Rollen, die mehr auf den Bestand der Gruppe gerichtet sind
- 3 So genannte "schwache" Rollen
- 4 Beispiel für Rollen im Gruppenprozess
- 5 Einige Rollentypen
- 6 Was bedeutet die Rollenübernahme für die Gruppe?
- 7 Was bedeuteten diese Überlegungen für die Gruppenleitung?
- 8 Beobachtungen durch die Gruppenleitung
- 9 Einzelnachweise
- 10 Literatur
- 11 Weblinks
Rollen, die mehr auf die Aufgabenbewältigung einer Gruppe gerichtet sind
Vorschläge machen, sammeln, fragen, zusammenfassen, informieren, strukturieren, koordinieren, antreiben usw.
Diese Rollen müssen übernommen werden, wenn in der Gruppe die Aufgabe ansteht und erledigt werden soll. Wenn keiner bereit ist, diese Verhaltensweisen zu praktizieren, können Aufgaben nicht zum Abschluss kommen.
Rollen, die mehr auf den Bestand der Gruppe gerichtet sind
Ermutigen, Verständnis untereinander herstellen oder darum werben, zum Hinhören auffordern, Spannung aufgreifen und abbauen, schwierige Situationen überbrücken, einen Angegriffenen schützen, zuhören und auf jemanden eingehen, einen Gedanken von jemand anderem aufgreifen usw.
Diese Rollen müssen übernommen werden, wenn in der Gruppe Kommunikation untereinander entstehen soll und Beziehung aufgebaut wird. Wenn niemand da ist, der bereit ist, solche Verhaltensweisen zu praktizieren, ist ein Zusammenleben in der Gruppe nicht möglich.
So genannte "schwache" Rollen
Diese Rollen werden so genannt, weil sie Verhaltensweisen beschreiben, die den Arbeitsprozess oder die Gruppenkommunikation manchmal stören und hemmen. Sie helfen der Gruppe somit wenig zu ihrer Weiterentwicklung.
Beispiele sind: Feindselig sein, andere angreifen, sticheln, rivalisieren, blockieren, sich konstant verweigern, ständig den Clown spielen, das Gespräch an sich reißen, andere abwerten usw.
Beispiel für Rollen im Gruppenprozess
Aufgabenrollen
- Initiative und Aktivität
- Informationssuche
- Meinungserkundung
- Informationen geben
- Meinungen äußern
- ausarbeiten
- Koordinieren
- zusammenfassen
Erhaltungs- und Aufgabenrollen
- Ermutigung
- Grenzen wahren
- Regeln bilden
- Ausdruck der Gruppengefühle
- auswerten
- diagnostizieren
- Übereinstimmung prüfen
- vermitteln
- Spannung vermeiden
schwache Rollen
- aggressives Verhalten
- blockieren
- Selbstgeständnisse
- rivalisieren
- Suche nach Sympathie
- Spezialplädoyers
- Clownerie
- Beachtung suchen
- Sich zurückziehen
Einige Rollentypen
- der Anführer („Auf, Leute, wir machen mal...!“)
- der Sündenbock („Immer bin ich schuld...!“)
- der Angeber („Wisst ihr, was ich neulich geschafft habe...!“)
- der Professor („Dieses Phänomen lässt sich wie folgt erklären...!“)
- der Draufgänger („Mal sehen, ob das Eis schon trägt...!“)
- das Mauerblümchen („Ob sie mich schon bemerkt haben...?“)
- der Star („Bin ich toll...!“)
- der Pfiffikus („Schau, es geht ganz einfach...!“)
- der Hitzkopf („Dem dreh ich den Kragen um...!“)
- der Bedächtige („Warum regt ihr euch so auf...?“)
- der Streithahn („Komm doch her, du Feigling...!“)
- der Geschäftige („Ich habe nicht viel Zeit...!“)
- der Pechvogel („Jetzt ist mir schon wieder...!“)
- der Rechthaber („Ihr habt doch keine Ahnung...!“)
- das Arbeitstier (Einer muß es ja machen...)
- der Ungeduldige („Können wir nicht etwas zügiger...?“)
- der Gesprächige („Dazu fällt mir noch ein...!“)
- der Mitleidige („Du armer Kerl...!“)
Was bedeutet die Rollenübernahme für die Gruppe?
Aus der Aufzählung der drei Rollenarten wird deutlich, dass jedes Verhalten in einer Situation als eine Rollenübernahme beschrieben werden kann: Ich tue in der Gruppe das oder jenes, und es hat folgende Bedeutung im Ganzen. Insofern ist Rolle zunächst einfach ein beschreibender Begriff ohne Bewertung. Die Bewertung kommt dann dazu, wenn es darum geht zu sehen, was die Art und Weise der Rollenübernahme oder des Rollenspiels für das einzelne Gruppenmitglied und die Gruppe bedeutet. Ein Mensch kann in einer Gruppe je nach Situation und Notwendigkeit ganz unterschiedliche Rollen spielen: Einmal strukturiert er den Gesprächsverlauf, einmal hört er intensiv zu, einmal ver- weigert er seine Mitwirkung, weil... usw. Der Hintergrund des jeweiligen Verhaltens ist hier die Wahrnehmung und Beurteilung der Situation und die Entscheidung, welches Verhalten hier angemessen scheint. Bei solchen Art der Rollenübernahme geschieht keine Fixierung und Festlegung.
Jeder in der Gruppe kann grundsätzlich zu jeder Zeit das ihm angemessene Scheinende tun, und da es sich um relativ bewusst verlaufende Entscheidungen handelt, sind diese auch diskutierbar und können hinterfragt werden. Aus eigene Erfahrungen in Gruppen ist sicher eher ein anderes Erscheinungsbild von Rollenübernahme bekannt, dessen Mechanismus der Entstehung und Fixierung aus den bisherigen Ausführungen von Prozessen in Gruppen verstehbar ist: Menschen neigen dazu sich in einer Gruppe auf bestimmte Rollen festzulegen und sie immer wieder oder oft ausschließlich zu spielen:
- Carola ist immer der Gruppenclown, alle amüsieren sich über ihre Späße. Durch sie gibt es immer etwas zu lachen. Wenn sie etwas Ernsthaftes sagen will, sagen die anderen: „Sei doch nicht so ernst!“
- Max ist immer derjenige, der vermittelt, wenn zwei eine Auseinandersetzung haben.
Das ist ganz angenehm für die anderen. Die zwei Betroffenen und auch die anderen Gruppenmitglieder bemühen sich viel weniger um Friedlichkeit. Max macht das ja schon. Frank schweigt meistens. Und weil er schon so lange nichts mehr beigetragen hat, bringt sie es auch jetzt im Augenblick nicht über sich, zu dem gerade diskutierten Thema etwas zu sagen, obwohl er das eigentlich gern würde. Er hat sich schon so an das Schweigen gewöhnt, dass er es nur schwer unterbrechen kann.
Weil Michael einmal ein Fest organisiert hat, soll er das nun wieder machen. Jedes Mal wird ihm diese Aufgabe zugeschoben. Alle sagen: „Du kannst das doch so gut.“
An diesen Beispielen wird deutlich:
- Ich übernehme/spiele eine Rolle zum Teil darum, weil sie einer Eigenart oder einer Fähigkeit von mir entspricht. Eine Rolle „liegt“ mir. Beispiel: Ich kann gut Spaß machen; ich traue mich nicht, in einer Gruppe zu sprechen, usw.
- Auch die anderen in der Gruppe haben einen Einfluss darauf, welche Rolle ich spiele. Ihre Erwartungen, die sie mir sagen oder die ich unbewusst spüre, wirken auf mich. Ihre Reaktionen erlebe ich als Belohnung, wenn sie mein Verhalten verstärken. Andere Reaktionen erlebe ich eher als Ablehnung und lasse die betreffenden Verhaltensweisen automatisch bleiben. Auch kann ein bestimmtes Rollenverhalten anderer mich dazu bringen, ein ergänzendes oder kontrastierendes Verhalten zu praktizieren: Beispiel: „Du kannst so gut Feste gestalten!“ (Verstärkung); „Sei doch nicht so ernst!“ (Ablehnung); „Weil du so schweigst, rede ich!“ (Kontrast)
- Wann oder wo eine Rolle entsteht, kann nicht ausgemacht werden. Sie entsteht z.B. weder in Carola (s.o.) noch in den anderen Gruppenmitgliedern. Sie entsteht immer nur in der Wechselwirkung aller, also zwischen den Beteiligten. Die Frage, wer dafür bestimmender ist, ist wie die Frage nach Henne und Ei: Wer von beiden war zuerst?
Was bedeuteten diese Überlegungen für die Gruppenleitung?
Rollen übernehmen gehört zum Leben von Gruppen. Menschen verhalten sich; Menschen ohne Rolle gibt es nicht. Das ist zunächst eine sachliche Feststellung. Der Vorgang der Rollenübernahme kann jedoch bewertet werden nach der Art und Weise, wie er erfolgt und nach der Wirkung, die er auf die Betroffenen und die gesamte Gruppe hat.
Dazu kann sich der Gruppenleiter fragen (= angemessenes Leitungsverhalten)
- Spielt jemand in der Gruppe nur eine Rolle und bleibt dadurch einseitig festgelegt?
- Wird jemandem eine bestimmte Rolle durch Sanktionen oder Gruppendruck zugeschoben?
- Hat einer eine Rolle, die ihm sogar schadet, indem sie z.B. sein Selbstwertgefühl verletzt?
- Welche Wirkung hat das Zusammenspiel aller Rollen in der Gruppe auf alle Mitglieder, auf die Beziehung untereinander und auf die Aufgabenerfüllung der Gruppe?
Beobachtungen durch die Gruppenleitung
Was passiert Im Unterbewussten des Betroffenen
- Offene Augen
- Rollen überprüfen, nicht auf ewig festlegen
- Das WARUM herausfinden
- Anderes Verhalten ermöglichen, z.B. den Schwachen eine Aufgabe geben, neue Rolle anbieten
- Rollenspiele
- Zuwendung, Gespräche,
- negatives Verhalten „übersehen“ =keine Verstärkung Bestätigung
- positives Verhalten „verstärken“ =Bestätigung, Anerkennen
Was passiert im Bewusstsein des Betroffenen?
- Konflikt aufgreifen
- Mit Person bereden ohne persönlich anzugreifen
- Nicht verurteilen sonder Hilfe anbieten
- Wenn Person einverstanden ist auch mit der Gruppe bereden
- Kontakt über dritte Person herstellen
Kein Weg: Rausschmiss, Rausekeln
- Hier wird pädagogisches Handeln aufgegeben
- (Nur am Ende aller Möglichkeiten , Maßnahmen und Hilfen von außen)
Es ist sicher ein sinnvolles Ziel, dass möglichst viele Gruppenteilnehmende fähig werden, flexibel je nach Situation unterschiedlicher Rollen wechselnd zu übernehmen. Dann kann sich der einzelne entfalten und die ganze Gruppe wird bunter und vielseitiger. Die Gruppenleitung kann auf dieses Ziel hinarbeiten, indem er/sie wahrnimmt, was in der Gruppe geschieht (vgl. Fragen oben), in seinem eigenen Verhalten Rollenfixierung vermeidet, zum Wechsel von Verhalten oder Aufgabenübernahme immer wieder ermutigt und evtl. auch seine Wahrnehmung in die Gruppe hinein gibt, um zur gemeinsamen Lösungssuche aufzufordern. Wenn in einer Gruppe dauerhaft so genannte „negative“ Rollen gespielt werden, kann das eine Signal dafür sein, dass Beziehungsprobleme unter den Mitgliedern bestehen oder das einzelne Teilnehmende nicht genügend berücksichtigt werden und dies durch störendes Verhalten signalisieren. (Ein Rollenverhalten kann aber auch von einem Teilnehmenden aus früheren Lebenssituationen in einer Gruppe mitgebracht werden, was evtl. andere Arten der Aufarbeitung nötig macht.) Wenn die Gruppenleitung „negative“ Rollen wahrnimmt und Beziehungsprobleme vermutet, kann sie dies zum Anlass nehmen, eine Reflexion und Neubestimmung von Gruppennormen anzuregen. Weil Rollen immer auch zu tun haben mit dem Verhalten der anderen Gruppenteilnehmenden (auch wenn sie vorrangig aus früheren Erlebnissen des betroffenen Mitgliedes herrühren), ist es hilfreich, sie gemeinsam zu besprechen, die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit auszutauschen, das Umlernen von Rollen bewusst anzugehen und Verteilungen immer wieder neu zu versuchen. Derjenige besitzt eine „reife“ Persönlichkeit, der eine Vielzahl von Rollen je nach Situation und in eigener Entscheidung angemessen übernehmen kann und der fähig ist, mit anderen zusammen Rollenverteilungen auszuhandeln, um zu größtmöglicher Zufriedenheit und Entfaltung aller Beteiligten zu gelangen.
Einzelnachweise